

Hamas-Zivilschutz: 27 Tote bei erneutem Beschuss nahe Verteilzentrum im Gazastreifen
Während der Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen sind am Dienstag erneut Schüsse von der israelischen Armee abgefeuert worden. Dabei wurden nach Angaben des von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Zivilschutzes im Süden des Palästinensergebiets mindestens 27 Menschen getötet und mehr als 90 weitere verletzt. Zivilschutz-Sprecher Mahmud Bassal warf der israelischen Armee ein "Massaker an Zivilisten" vor. Das israelische Militär erklärte, Schüsse "in die Nähe einzelner Verdächtiger" abgefeuert zu haben.
Die Schüsse fielen laut Bassal an einem Verkehrskreisel in etwa einem Kilometer Entfernung von einem Verteilzentrum für Hilfsgüter der neugegründeten und von den USA und Israel unterstützten Stiftung GHF nordwestlich der Stadt Rafah. Die israelische Armee habe mit Drohnen und Panzern das Feuer auf tausende Zivilisten eröffnet, sagte Bassal der Nachrichtenagentur AFP. In einer vorherigen Zwischenbilanz hatte er noch die Zahl von 15 Toten genannt.
Die israelische Armee teilte im Onlinedienst X mit, ihre Soldaten hätten "Warnschüsse" in Richtung einiger "Verdächtiger" auf dem Weg zu einem Verteilzentrum abgegeben. Die Menschen seien von der vorgegebenen Route abgewichen und hätten sich auf die Soldaten zubewegt. Nachdem die Warnschüsse keine Wirkung gezeigt hätten, seien Schüsse "in die Nähe einzelner Verdächtiger" abgegeben worden. Die Armee erklärte, sie prüfe Berichte über Tote.
Der Vorfall ereignete sich den Angaben des Zivilschutz-Sprechers zufolge an demselben Verkehrskreisel nahe des GHF-Verteilzentrums, an dem bereits zwei Tage zuvor Schüsse gefallen waren. Nach Angaben des Zivilschutzes waren dabei am Sonntag durch israelischen Beschuss 31 Menschen getötet und 176 weitere verletzt worden. Israel und die GHF wiesen die Angaben jedoch zurück, UN-Generalsekretär António Guterres forderte eine unabhängige Untersuchung.
Zu dem neuen Vorfall am Dienstag erklärte die GHF, die Verteilung von Hilfsgütern in dem Zentrum sei ohne Zwischenfälle verlaufen. Der Vorfall habe sich weit außerhalb der sicheren Verteilzone ereignet. Die Stiftung riet allen Zivilisten, auf dem Weg zu den Hilfslieferungen in dem "sicheren Korridor" zu bleiben.
Die 30-jährige Rania al-Astal berichtete, sie habe sich mit ihrem Ehemann am frühen Dienstagmorgen auf den Weg zu dem Verteilzentrum begeben. Zunächst seien dann vereinzelte Schüsse an dem Kreisel gefallen. Die Menschen seien jedoch dessen ungeachtet alle auf einmal nach vorn gedrängt, "das war, als die Armee heftig zu schießen anfing", sagte sie.
Der ebenfalls bei dem Vorfall anwesende 44-jährige Mohammed al-Schaer berichtete, die israelischen Soldaten hätten zunächst in die Luft geschossen und dann "direkt auf die Menschen". Ein Hubschrauber und Drohnen hätten auf die Menge gefeuert, um sie davon abzuhalten, sich einer Sperre aus Panzern zu nähern. Er habe das Verteilzentrum nicht erreicht und "kein Essen bekommen", fügte al-Schaer hinzu.
Israel hatte kürzlich eine seit Anfang März geltende Blockade der humanitären Hilfslieferungen für den Gazastreifen gelockert. Das Volumen der Hilfslieferungen ist nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen jedoch weiterhin viel zu gering. Laut UNO und Hilfsorganisationen droht im Gazastreifen eine Hungersnot.
Die GHF eröffnete vier Ausgabezentren im Süden und im Zentrum des Palästinensergebiets. Die UNO und große Hilfsorganisationen verweigern jedoch die Kooperation mit der US-gestützten Stiftung, der sie vorwerfen, sich nach den Plänen der israelischen Armee auszurichten.
Israel hatte seine Militäroffensive im Gazastreifen zuletzt verstärkt. Am Dienstag teilte die Armee mit, dass drei ihrer Soldaten im Norden des Gebiets getötet worden seien. Damit stieg die Zahl der im Gazastreifen seit Beginn des Krieges getöteten israelischen Soldaten auf 424.
Der Gaza-Krieg war durch den Großangriff der islamistischen Hamas und mit ihr verbündeter Kämpfer auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Dabei wurden nach israelischen Angaben mehr als 1200 Menschen getötet. 251 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Als Reaktion auf den Hamas-Überfall geht Israel seither massiv militärisch in dem Palästinensergebiet vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die nicht unabhängig überprüft werden können, bislang mehr als 54.400 Menschen getötet.
S.Lambert--JdB